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Zu seinem 200. Todestag am 4. April 1779

Von Hans J. Utz

Der Pfarrer Johann Josef Gaßner erregte durch seine Wunderkuren in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts so großes Aufsehen, dass die weltlichen und kirchlichen Behörden  zu seiner Tätigkeit Stellung nehmen mussten. Bis in die Gegenwart ist das wissenschaftlich Interesse an Gaßner und seiner Exorzismen nicht erloschen. Die gründliche Untersuchung Josef Hanauers dürfte endlich unter das 200 Jahre währende Für und  Wider einen Schlussstrich gezogen haben.

Gaßner wurde in Braz in Vorarlberg am 22. August 1727 geboren. Seine Studien begann er in Prag und vollendete sie bei den Jesuiten in Innsbruck. Schon in seinen ersten Seelsorger Jahren in Dalaas befasste er sich mit den Problemen der Besessenheit und Teufelsaustreibung und nahm auch gelegentlich selbst einen Exorzismus vor. Als er sich, durch längere Zeit an heftigen Kopfschmerzen leidend, vergeblich ärztlichen Konsultationen gestellt hatte, kam er auf den Gedanken, ob nicht hinter seiner Krankheit etwas „Unnatürliches“ stecke. Er befahl sodann dem Teufel unter Anrufung des heiligsten Namens Jesu zu weichen. Die Beschwerden wurden geringer, und schließlich erlangte Gaßner seine volle Gesundheit wieder. Inzwischen hatte er die Pfarrei Klösterle bei Bludenz übernommen. Da er überzeugt war, seine Wiedergenesung dem Exorzismus zuschreiben zu dürfen, kam er mehr und mehr zur Überzeugung, dass der Teufel wirklich auch über den Leib des Menschen große Gewalt besitze. Er besorgte sich einschlägige Literatur, die freilich voller Hexenwahn und Teufelspuk war und längst von der Kirche verurteilt worden war. Anfangs behandelt er nur die Kranken aus seiner Pfarrei. Aber bald schon kamen die Leidenden von weit und breit in Scharen, die beim Pfarrer von Klösterle Heilung zu finden hofften. Oft waren mehrere Hundert von Kranken im kleinen Dorf eingetroffen. So groß war das allgemeine Vertrauen in seine Methode, dass auch Andersgläubige bei ihm Hilfe suchten. Freilich hatte Gaßner nicht nur Freunde. Manche sahen sich in ihren Erwartungen getäuscht. Auch ein Teil seiner Mitbrüder lehnte sein Verfahren ab. Die zuständigen Behörden waren von Anfang an skeptisch.

Durch die Heilung der Gräfin Bernhardina von Truchseß-Waldburg wurde dem Pfarrer die Erlaubnis beim Bischof von Konstanz erwirkt, dass Gaßner in seiner Diözese Heilungen vornehmen dürfe. Der Bischof selbst, Kardinal Franz Konrad von Rodt, verfolgte die eigenmächtige Wirksamkeit Gaßners mit großem Misstrauen. Als in Merseburg bei den Krankenbeschwörungen im Seminar nichts Rechtes gelingen wollte, gab der Kardinal dem Pfarrer den Befehl, sein Gebiet zu verlassen. Dieser folgte einer Einladung des Abtes von Salem und nahm dort täglich wenigstens 50 Personen vor. Nach wiederholt verlängertem Urlaub von seiner Pfarrei, den ihm Gönner und Anhänger aus den Kreisen des Adels bei seinem Heimatbischof von Chur erwirkt hatten, sollte der Pfarrer nach bischöflicher Weisung endlich in seine Pfarrei zurückkehren. Der Fürstpropst von Ellwangen und Bischof von Regensburg, Anton Ignaz von Fugger, ein frommer und eifriger Oberhirte seines Sprengels, erfuhr über seine Verwandten von Gaßners Tätigkeit und, seit Jahren erblindet, erhoffte er sich durch den Wundermann die Wiederkehr seines Augenlichtes. Längst wurde Gaßner wie ein Wohltäter der Menschheit verehrt, ja von manchen wie ein Heiliger gehalten. Nach wiederholten Bitten des Fürstpropstes gab der Bischof von Chur die Erlaubnis zu einem Urlaub Gaßners. Die am Bischof von Regensburg vorgenommene Beschwörung blieb allerdings erfolglos. Der Bischof blieb blind, aber er gab die Erlaubnis zur Behandlung der Kranken seines Gebietes. Bei der Mehrzahl der Hilfesuchenden zeigten sich Gaßners Kuren wirksam. In einem Jahr soll er mehr als 20 000 Menschen behandelt haben. Inzwischen hatte der Bischof von Regensburg die Entlassung des Pfarrers aus seiner Heimatdiözese erreichen können. Gaßner resignierte auf die Pfarrei Klösterle und wurde zum Hofkaplan und geistlichen Rat des Bischofs von Regensburg ernannt. Der Zustrom nach Ellwangen war ungeheuer, bis aus Frankreich und Holland, Böhmen und Ungarn kamen die Kranken herbei, Menschen aus allen Kreisen.

In Regensburg selbst erzielte der Teufelsbanner nicht solche Erfolge wie in Ellwangen. Und doch dauerte der Ansturm der Kranken an. Im September folgte Gaßner der Einladung der verwitweten Pfalzgräfin nach Sulzbach. Hier hatte er großen Erfolg. Die Sprechstunden zogen sich häufig bis gegen Mitternacht hin. Auf der Rückreise nach Regensburg machte Gaßner auch in Amberg Station. Dort wurde aber nicht wie in Sulzbach ein Protokoll geführt. In Regensburg angekommen nahm er sofort seine Tätigkeit wieder auf. Jetzt schaltete sich der Kaiser ein. Josef II. erteilte dem Bischof von Regensburg den Auftrag, Gaßner aus der Reichsstadt zu entfernen. Im März 1776 ging Gaßner auf die frei gewordene Pfarrei Pondorf an der Donau. Er widmete sich der Seelsorge und war Dekan dieses Kapitels. Im April des gleichen Jahres· kam ein päpstliches Breve, das Gaßners Lehre und Verfahren verurteilte. Nach den vergangenen anstrengenden 20 Jahren waren dem Pfarrer nur noch zwei Lebensjahre gegönnt. Er erkrankte im Frühjahr 1779 an einem hitzigen Fieber. Sein eigener Exorzismus blieb wirkungslos. Am 4. April 1779, am Ostersonntag jenes Jahres, um ein Uhr früh, schied er, 52jährig, aus dem Leben. Auf einer Steintafel am Eingang der Kirche steht ein lateinischer Nekrolog auf den „berühmtesten Exorzisten seiner Zeit, den unbescholtensten Pfarrer und Dekan“.

Gaßner hatte Freunde und Gönner, aber auch Gegner quer durch alle Lager und Gruppen. Die einen sahen in ihm einen Wundermann mit besonderem Sendungsauftrag, die anderen einen Scharlatan und Schwindler wie Cagliostro oder Schröpfer. Die kritischen Zeitgenossen verstanden sein Wirken rein natürlich. Sein schärfster Gegner war der Theatinermönch Ferdinand von Sterzinger, der in Ellwangen die Operationen Gaßners einige Zeit mit größter Aufmerksamkeit beobachtet hatte. Sein Urteil lautete, er habe nichts wahrgenommen, als „eine Kunst, die Phantasie des Patienten also zu lenken, dass er tut, was man ihm befiehlt“. Er stellte fest, dass es mit der wahren Gottesauffassung unvereinbar sei, dass Krankheiten im Namen Jesu hervorgerufen würden. Gaßner war überzeugt, dass die meisten Krankheiten vom Teufel hervorgerufen würden. Um den Beweis zu liefern, dass es sich in jedem einzelnen Falle um eine unnatürliche Krankheit handelte, befahl er dem Bösen, die früheren Symptome zu zeigen und wieder verschwinden zu lassen. Auf des Exorzisten Befehl trat plötzlich Fieber auf und verschwand wieder, Asthmaanfälle, Versteifung von Gelenken usw. Erschienen diese befohlenen Symptome auf wiederholten Befehl nicht, so hielt Gaßner den Glauben des Patienten für zu klein, oder es war eben dann eine natürliche Krankheit. Oft marterte er die Patienten stundenlang, was viel Unwillen bei den Zuschauern hervorrief. Sterzinger warf dem Exorzisten vor, er steigere die Macht Satans ins Riesenhafte, was gegen christliche Lehre sei. „Was immer es sein mag, wodurch Herr Gaßner seine Patienten, bald gesund, bald krank machen kann, so bleibe ich bei meiner Meinung, dass alles ganz natürlich hergehe. Gott tut es nicht, der Teufel kann es nicht. Also tut es die Natur.“ Zunächst erhob sich ein Sturm der Entrüstung gegen Sterzinger. Es erschienen viele verletzende Gegenschriften. Sterzinger ließ sich im Kampf für die Wahrheit nicht entmutigen. Gaßners „Teufelstheologie“ war sicher irrig. So wuchs das Ärgernis in weiten Kreisen, denn man hielt es für angezeigt, dass der weltliche Arm gegen den Teufelsbanner vorgehe, durch den die Religion in Misskredit gebracht werde. Auch auf evangelischer Seite entzündete sich ein heftiger literarischer Streit. Durch Johann Kaspar Lavater, den edlen Pfarrer am Waisenhaus in Zürich, der erst alles auf Gaßner hielt, wurde der aufgeklärte Theologe Salomo Semler aus Halle auf Gaßner aufmerksam. Auch Lavater stellte zuletzt Gaßners Wirken neben die Heilerfolge des berühmt gewordenen Mesmer, der magnetische Kräfte einsetzte.

Bei der aufsehenerregenden Art, wie Gaßner seine Tätigkeit als Heilkünstler ausübte,  konnte es nicht ausbleiben, dass die zuständigen staatlichen und kirchlichen Stellen aufmerksam wurden. Gaßner hatte auch viele Arzte auf seiner Seite, die ihm über die päpstliche Verurteilung, ja über den Tod hinaus die Treue hielten. Viele Ärzte waren bei seinen Exorzismen zugegen und unterzeichneten die Protokolle. Der Leibarzt der Pfalzgräfin von Sulzbach, Bernhard Josef Schleiß, verteidigte den Pfarrer in Wort und Schrift. Andere Ärzte waren skeptisch. Hofrat Ehlen aus Würzburg warnte die Menschen davor, doch nicht alles, was sie nicht gleich verstünden, übernatürlichen Kräften zuzuschreiben. Er hielt Gaßner für einen einflussreichen, suggestiv veranlagten Menschen. Der kaiserliche Hof und die römische Kurie zogen Gutachten ein. Der Kaiser war ungnädig darüber, dass positive Atteste von Ingolstädter Professoren, Gaßners Kuren betreffend, in die Öffentlichkeit drangen. Er wies sie als private Aussagen zurück und bestellte selbst eine Prüfungskommission in dem Leibarzt Anton von Haen und dem Freiherrn von Swieten. Auf ihr negatives Gutachten hin schritt Wien ein. Die Bischöfe von Prag und Salzburg erließen gegen Gaßner und seine Nachahmer Hirtenbriefe. Nun musste auch Rom sprechen. Die päpstliche Entscheidung vom 20. April 1776 verwarf die Lehre Gaßners, der zufolge alle Krankheiten und Schäden vom Teufel stammten, und verbot die Anwendung von Exorzismen, die immer an bestimmte Auflagen gebunden bleiben würden. Gaßner verfügte über seltene Macht der Suggestion und Hypnose. Dem Bann seiner Persönlichkeit erlagen viele Menschen. Wie aus den Protokollen zu ersehen ist, handelte es sich bei der Mehrzahl der Fälle um nervöse Seelenleiden. Als Priester und Seelsorger erfüllte Gaßner seine Berufspflichten gewissenhaft. Auch seine Gegner konnten seinem erbaulichen Lebenswandel die Hochachtung nicht versagen. Er diente den Kranken in selbstloser Hilfsbereitschaft. Unredliche Motive lagen ihm fern. Für sich lebte er anspruchs- und bedürfnislos. Er versuchte armen und reichen Menschen in gleicher Weise zu helfen. Nie hat er Belohnung oder Bezahlung angenommen. Menschliche Fehler hatte auch Gaßner. Kein Wunder bei solchem Zustrom und absolutem Vertrauen seitens vieler Menschen, auch aus den höchsten Kreisen, dem Hochadel, der sich sowohl in Wien als auch in Rom immer wieder dafür einsetzte, den übernatürlichen Charakter von Gaßners Wirken glaubhaft zu machen, kein Wunder also, wenn er von sich überzeugt war und nur schwerlich Fehler eingestand.

In der Münchener medizinischen Wochenschrift hieß es 1927: „Heute versteht man Gaßners Kunst mehr als zu seiner Zeit. freilich hat ihn E. Sierke noch unter die Schwärmer und Schwindler zu Ende des 18. Jahrhunderts gerechnet. Aber diesem Platz verdient Gaßner schon deswegen nicht, weil er bei seinen Beschwörungen niemals an persönliche Bereicherung gedacht hat. Wer die Quellenschriften über Gaßners Wunderkuren unbefangen verfolgt, dürfte zu dem Schluss kommen, dass Gaßner einer der größten kirchlichen und gläubigen Hypnotiseure aller Zeiten war, an dessen Ehrlichkeit und Uneigennützigkeit man schwerlich zweifeln kann.“ Gaßner war sich der Tatsache der Suggestion nicht bewusst, ja er kannte sie und ihre Gesetze nicht einmal.

Mag Johann Josef Gaßner geirrt haben. Er hat sich im Gehorsam gebeugt. Was er uns alle lehren kann, sagt der letzte Satz seines Nekrologs auf dem Gedenkstein in Pondorf a. D.: „Lerne, o Wanderer, im heiligsten Namen Jesu so leben und in demselben sterben und einst auch wieder auferstehen.“  — Wir wünschen und gönnen ihm den ewigen Frieden.

© Die Oberpfalz 1979, Laßleben Verlag Kallmünz.